Mittwoch, 22. April 2015

Stasis


















Heute hat Giorgio Agamben sein 73. Lebensjahr vollendet.
Bereits im Januar dieses Jahres vollendete er etwas, das
man einmal als Opus magnum bezeichnet hat. Mit dem im
Januar bei Bollati Boringhieri erschienenen Buch Stasis. La
guerra civile come paradigma politico [„Stasis. Der Bürger-
krieg als politisches Paradigma“] schließt Agamben seine
unter dem Titel Homo sacer versammelten Studien endgül-
tig ab. Als im September letzten Jahres bei Neri Pozza mit
L’uso dei corpi der nicht nur numerisch, sondern auch in di-
versen Interviews vom Autor selbst zu solchem erklärte letz-
te Band IV,2 des Homo sacer-Zyklus erschien, rätselte die
Gemeinde, weshalb es keinen Homo sacer II,4 geben sollte.
Blicken wir noch einmal zurück. Vor gut vierzehn Jahren, im
Januar 2001, erschien ein Gespräch von Hanna Leitgeb und
Cornelia Vismann mit Giorgio Agamben in der damals noch
existierenden Zeitschrift Literaturen. Agamben äußert sich
auch zum Homo sacer:  

Homo sacer ist […] der erste Band in einer Reihe, in der drei
weitere Bücher stehen. Eines, Homo sacer III, ist bereits er-
schienen: Was von Auschwitz bleibt, ein ethisches Korrelat,
eine Theorie der Subjektivität. Ein zweiter Teil, an dem ich
gerade arbeite, wird eher historisch sein, eine historisch-
genealogische Untersuchung, wie das Konzept von Leben ge-
formt wurde. Er wird unter anderem ein wichtiges Kapitel
über das Phänomen Bürgerkrieg enthalten. Der vierte und
letzte Teil wird sich schließlich mit dem Konzept der Lebens-
Form befassen. Mit Lebens-Form meine ich ein Leben, das ab-
solut untrennbar ist von seiner Form, ein bios, das allein sein
zoé ist und das deswegen nicht davon getrennt werden kann.
Es handelt sich um kein universales Prinzip […], sondern um
ein operatives Konzept, das mir ermöglicht, über die Tren-
nungen zu arbeiten. Konzepte dieser Art dürften im 20. Jahr-
hundert in der Philosophie nicht unbekannt sein. Das Dasein 
bei Heidegger, bei dem Sein und Seiendes ununterscheidbar
sind, entstammt demselben strategischen Bedürfnis.

Ein zweiter Teil, an dem ich gerade arbeite, wird […] eine
historisch-genealogische Untersuchung, wie das Konzept von
Leben geformt wurde. Er wird unter anderem ein wichtiges
Kapitel über das Phänomen Bürgerkrieg enthalten.Im Rück-
blick auf dieses vierzehn Jahre alte Interview wird klar, dass
Agamben mit einer für ihn charakteristischen Geste etwas,
das von Beginn an als dringlichste Frage empfunden wurde,
am Ende nachgeliefert wird wie die Zugabe eines Konzerts.
Zuerst erschienen vier andere Bände: 2003 Homo sacer II,1:
Stato di eccezione (Ausnahmezustand, 2004), 2007 Hs II,2: Il
Regno e la Gloria (Herrschaft und Herrlichkeit, 2010), 2008
Hs II,3: Il sacramento del linguaggio (Das Sakrament der Spra-
che, 2010), 2012 Hs II,5: Opus Dei (dtsch. 2013). Die Zählung
ließ einen fünften Teilband erwarten: Homo sacer II,4. Wenn
mit Stasis nun der vierte Band des zweiten Teils erschienen
ist, scheint alles seine numerische Ordnung zu haben. Doch
der erste Eindruck täuscht. Stasis wird nämlich als Homo sa-
cer II,2 deklariert. Doch Band II,2 gibt es längst: Il Regno e la
Gloria. Es kursieren zwei Erklärungen für diese Ungereimtheit:
manche vermuten einen Praktikantenfehler, andere eine ge-
wollte Umstellung. Für die zweite Erklärung spricht nicht nur,
dass Ausnahmezustand (II,1) und Bürgerkrieg (Stasis, II,2) ähn-
lich solidarisch sind wie die „Archäologie des Amts“ (Opus Dei,
II,5) und die „theologische Genealogie von Ökonomie und Re-
gierung“ (Il Regno e la Gloria, vormals II,2, jetzt II,4).          

Montag, 13. April 2015

Ulfs Tragödientheorie

















 
Der Aufsichtsratsvorsitzende sieht sein Lebenswerk ge-
fährdet und will diesem Werk seinen Ziehsohn opfern.
Er, der fleißige Auto-Euphoriker und brillante Qualitäts-
optimierer, ist ein Mann aus einfachen Verhältnissen,
der seinen Erfolg in der Regel zurückhaltend genoss und
dem die Loyalität zu seinem obersten Controller wich-
tig war. Für ihn beginnt eine harte Zeit. Doch er hat er-
kennen lassen, dass er diese Attacke so nicht hinnehmen
wird — aber die Frage steht im Raum, wie es weiterge-
hen soll… und wer das Opfer sein muss.