Freitag, 3. Oktober 2014

Exportweltmeister


















Wie uns jüngst von einem bayerischen LKA-Mann glaub-
haft erklärt wurde, liefert Deutschland nicht nur fleißig
Kleinwaffen in alle Welt, sondern auch die erforderlichen
user gleich mit. Stehen einem ausreisewilligen Islamisten
nicht die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung, wird
er auf Staatskosten in die Türkei ausgeschafft: in der Re-
gel in Ortschaften nahe der syrischen Grenze. Der Export
gefährlicher Güter hat in Deutschland Tradition. In der 2.
Hälfte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts war es der
nationalsozialistisch kontaminierte Heidegger, den man in
Südfrankreich Seminare geben ließ. Anders als dem jüngst
für den Export bestimmten Allgäuer Fachabiturienten und 
Wirtschaftsinformatikstudenten ging es Heidegger jedoch
nicht darum, jungen Ausländern den Kopf abzutrennen,
sondern lediglich zu verdrehen.
 
Dass Heideggers Auslandsmission erfolgreich war, bezeugen
Namen wie Sartre, Levinas, Foucault, Derrida und Agamben.
Zugleich weisen diese Namen darauf hin, dass deutsche „Ge-
richte“ über seinen Nationalsozialismus und seinen Antisemi-
tismus nicht zu befinden haben. Als sich das offensichtlich in
Atemnot befindende Philosophiemagazin Hohe Luft zum 125.
Geburtstag Heideggers mit dem Hashtag #schlussmitheidegger aufmerksamkeitsökonomisch Luft zu verschaffen versuchte,
erregte das lediglich den Widerspruch des abgehalftertsten
Gauls, der auf Friedes Gnadenhof für meinungsstarke Journa-
listen ein dürftiges Dasein fristet: „… die Enkelin Imke erzählt,
dass er sich Zeit genommen hat, man hörte Musik zusammen,
er konnte sich herrlich über Fussball ereifern, Beckenbauer
war sein Held. Wie schön zu wissen, dass bei Heideggers nicht
nur von den letzten Dingen geraunt wurde.“

Wenden wir unseren Blick ab vom deutschen Trauerspiel und
widmen uns der jungen Frau, die der achtzigjährige Philosoph
mit einem Blick bedenkt, den wir sonst nur von den Greisen
kennen, die Susanna beim Baden betrachten. Die Sophistik-
spezialistin Barbara Cassin nahm 1969 am dritten und letzten
Seminar von Le Thor teil. François Fédier verdanken wir nicht
nur dieses Foto (Soixante-deux photographies de Martin Hei-
degger, Paris: Gallimard 1999). Der Nouvel Obs veröffentlich-
te vor einem Monat, was sie Eric Aeschimann über ihre Begeg-
nung mit dem penseur allemand erzählte.

September 1969, ich war 22 und zu dem Seminar eingeladen,
dass Heidegger in Le Thor bei René Char gab. Wir waren weni-
ger als zehn Teilnehmer, wohnten im hôtel du Chasselas, wo
wir gemeinsam aßen. Heidegger hielt sein Seminar morgens
ab, nachmittags machten wir gelegentlich ausgedehnte Spa-
ziergänge. 

Es war ein Glücksfall, an diesem Seminar teilnehmen zu kön-
nen. Wir wussten alle, dass er Nazi gewesen war, Rektor der
Universität, aber wir waren bei René Char, dem Capitaine
Alexandre der Résistance. Heidegger erklärte uns die Grie-
chen und die Bedeutung der Dichtung für das Denken. In sei-
nem schwülstigen Deutsch standen sich Philosoph und Dichter
auf zwei Gipfeln gegenüber; Char sah in ihnen Gefangene, die
durch ein kleines Loch in der Wand kommunizieren. 

Selbst als Jüdin war seine Vergangenheit für mich nicht hinder-
lich, sondern fragwürdig. Doch als ich nach ein paar Tagen mei-
ne Briefe auf die Post gab, sprach mich jemand an: „Sie heißen
Cassin und frühstücken mit einem Nazi!“ Und er spuckte mich
an. In dem Moment wurde mir etwas klar, dass ich heute dank 
Arendt so formulieren möchte: Philosophen lieben Tyrannen,
das ist ihre déformation professionnelle.

Als ich die Feier seines achtzigsten Geburtstags in der Schweiz

besuchte, frühstückte ich bei ihm in Freiburg gemeinsam mit
seiner Frau Elfriede mit Blick auf ihr unbeheiztes Schwimmbad,
in dem sie jeden Morgen schwammen. Ich glaube nach wie vor,
dass Heidegger ein großer Philosoph und zugleich ein gewöhn-
licher Nazi war: Damit muss die Philosophie zurechtkommen.