Donnerstag, 10. Mai 2012

»Junger Mann«


















„Literatur wird nicht in der Werkstatt gemacht, sondern
im Kopf. Der Kopf ist keine Werkstatt. Die Literatur ist
kein Handwerk. […] Alles, was Handwerk ist am Schrei-
ben, ist komplett egal. […] Der schlechte Text ist nicht
verbesserbar.“

NACHTRAG: Sagte Rainald Goetz am 10. Mai tatsächlich
— wie man nun allerorten liest —, Mitgefühl sei „die fro-
he Botschaft der Literatur“? Ein Blick in meine Notizen
zeigt, dass ich das Kompositum „Frohbotschaft“ zu hören
meinte. Mitschreiben war jedoch noch nie meine Sache.
Die LOGIK DES DIKTATS leuchtete mir schon in der Schule
nicht ein.

Wer seine das Diktierte ordnungsgemäß niederschreiben-
den Mitschüler mit der an den Lehrer gerichteten Bitte,
bereits mehrfach Diktiertes noch einmal zu wiederholen,
nicht selten aus dem Konzept gebracht hat, dem ist die
Aufzeichnung mündlichen Vortrags ein Segen. Unbegrenz-
te Wiederholbarkeit erlaubt auch ihm, den genauen Wort-
laut zu notieren.

24.5.12  Wann kommen die Geburtstagsgeschenke? Das
Team der Telekom hat per SMS herzlich gratuliert. Dann
dieser Gutschein von der Lufthansa: Extra Prämienmeilen
für eine Bestellung über 50 EURO bei irgendeinem so ge-
nannten Onlinebookstore. Geben Sie folgenden Code ein!
Die schönste Überraschung gab es beim Perlentaucher via
Ekkehard Knörers Facebookseite: „Ihr Geschenk befindet
sich seit dem 22. Mai auf der Website der FU Berlin: der
Videomitschnitt von Goetz’ Antrittsvorlesung leben und
schreiben. der existenzauftrag der schrift.“

Danke Perlentaucher! Danke Herr Knörer! Und nicht zu-
letzt, danke Peter-Szondi-Institut!

Endlich mal wieder ganz Phonotypist sein können. Exakte
Dauer der Vorlesung: 46 Minuten und 23 Sekunden. Freude
darüber, richtig gehört zu haben: „Mitgefühl ist die große
Frohbotschaft der Literatur.“ Freude auch darüber, dass
Goetz Punkt VI (ZUHÖREN) exakt nach 15 Minuten mit fol-
genden Worten beginnt: „Da schlafen den ersten Zuhörern
schon die Füße ein. Ich weiß das. Kein Mensch kann einem
noch so stringent oder gar luzide ausgedachten und vorfor-
mulierten Text, der ihm vorgelesen wird, mehr als 15 Mi-
nuten rein freudig wirklich folgen.“

„Mit einer Wachheit, die einem selbst entspräche, ist bei
den anderen also nicht zu rechnen, befindet der Hektiker,
dem an jeder zweiten Theke, bei jedem zweiten Weltkon-
takt, an fast jeder Supermarktkasse die Empfehlung meist
ziemlich imperativisch von den ruhig in sich selbst Ruhen-
den gegeben wird, sich bisschen locker zu machen, alles
ganz easy, keine Panik, geht schon, wird schon. „Nu sind
se mal nich’ so hektisch, junger Mann!“ So original gestern
wieder im REWE. Für Nicht-Berliner, das berlinische „jun-
ger Mann“ gilt für alle Alter, wird besonders gern den Leu-
ten ab 40, 50 aufwärts ironisch übergezogen, wobei der
Sprecher von der Ironie, so selbstverständlich ist ihm sein
Sprachgebrauch, gar nichts weiß [1:38 – 2:23].“