Samstag, 10. Dezember 2011

Die Asche Michael von Cesenas


















Im Hintergrund (v.l.n.r.): Kardinal Albornoz, Papst Inno-
zenz VI., Karl IV. von Luxemburg und sechs Schafe. Im
Vordergrund: Erzbischof Simone Saltarelli O.P., die Min-
derbrüder Wilhelm von Ockham und Michael von Cesena
maßregelnd. Fresko von Andrea di Bonaiuto im Kapitular-
saal des Dominikanerklosters S. Maria Novella, Florenz.

Dienstag, 1. November 2011

Protest 1966


















Michelangelo Antonionis Film Blow up kam vor fünfundvier-
zig Jahren in die Kinos. Also gestern: Shooting („Veruschka“
Gräfin von Lehndorff), Casting (Jane Birkin), Park (Maryon
Park, Woolwich, London SE7), Mobiltelefon, Queer, Gentri-
fizierung, Dunkelkammer, Nachtasyl und performances im
öffentlichen Raum.























Samstag, 1. Oktober 2011

Paupertas altissima


















Der Verlag Neri Pozza hat kürzlich ein Buch veröffentlicht,
dessen Umschlag das Detail eines Gemäldes Giotto di Bon-
dones schmückt. Im Louvre hat es die Adresse Saint Fran-
çois d’Assise recevant les stigmates. Das Detail zeigt die
legendäre Szene, in der der hl. Franziskus Vögeln predigt.
Den Titel des Buches: Altissima povertà. Regole monasti-
che e forma di vita könnte man mit „Höchste Armut. Or-
densregeln und Lebensform“ übersetzen. Es handelt sich
um den ersten Teil des vierten Bandes von Agambens Ho-
mo sacer. So hieß der namengebende, erste Band dieses
Projekts, der 1995 erschien. Dessen Protagonist war – wie
in der Einleitung der 2002 erschienenen deutschen Über-
setzung zu lesen ist – „das nackte Leben, das heißt das Le-
ben des homo sacer, der getötet werden kann, aber nicht
geopfert werden darf“.  

Freitag, 16. September 2011

Gramat 1943


















Den Frühling und Sommer des Jahres 1943 verbrachten Ni-
na Ivanoff und Alexandre Kojève in Gramat, einem Ort in
der Region Midi-Pyrénées, der mit seinen dreitausend Ein-
wohnern zu klein war, um als Kleinstadt gelten zu können.
Hierhin hatte es die Schwestern Anne und Katherine Men-
delssohn auf ihrer Flucht aus Paris verschlagen. Anne, die
wie ihre Jugendfreundin Hannah Arendt aus Königsberg
stammte, war mit dem — ebenfalls aus Deutschland stam-
menden — Philosophen Eric Weil verheiratet, der Kojèves
Hegelvorlesungen regelmäßig besucht hatte. Gelegentlich
eines Besuchs bei Anne, deren Mann seit 1940 — unter fal-
schem Namen — als Soldat 2. Klasse in einem deutschen
Kriegsgefangenenlager bei Fallingbostel einsaß, hatten Ni-
na und Alexandre beschlossen, sich einmal für längere Zeit
in Gramat einzuquartieren.

Die Ruhe der ländlichen Abgeschiedenheit, in der Kojève
mit der Niederschrift seiner Esquisse d’une phénoménolo-
gie du droit begann, sollte jedoch durch eine Büchersen-
dung empfindlich gestört werden. Auf Wunsch des Autors
hatte ihm sein ehemaliger Hörer Raymond Queneau das im
Sommer 1943 bei Gallimard erschienene Buch eines weite-
ren Hörers seiner Hegelvorlesungen geschickt: Georges Ba-
tailles L’expérience intérieure. Durch die Lektüre aus der
dörflichen Idylle gerissen, schrieb Kojève nach deren Be-
endigung umgehend einen Brief an Bataille, der wegen sei-
ner besonderen Bedeutung für die Bestimmung des Verhält-
nisses, in dem der „Lehrer“ zu seinem fünf Jahre älteren
„Schüler“ stand, hier in voller Länge (in deutscher Überset-
zung) wiedergegeben wird.

     Teurer Freund,
     ich werde Ihnen diesen Brief erst schicken, wenn ich Ih-
re Adresse erhalten habe. Doch will ich Ihnen schon jetzt
schreiben, da ich Ihr Buch (Danke!) gerade gelesen habe
und ich darüber sprechen möchte, solange es mir noch in
lebhafter Erinnerung ist.
     Gramat ist eine katholische Stadt, ausgestattet mit
einem großen Kloster. Auch bin ich hier auf zwei schmale
Bücher gestoßen, die ich Lust hatte, wieder einmal zu le-
sen: die Regel des Hl. Benedikt und den dreifachen Weg
des Hl. Bonaventura. Ich las sie gerade, als ich Ihr Buch
erhielt. Es war das dritte, das ich nach den beiden ande-
ren gelesen habe. Ein glücklicher Zufall.
     Nun — ihr Buch ist gewiss nicht schlechter. Noch bes-
ser. Es unterscheidet sich nicht einmal (es ist ein wenig
länger — das ist alles). Sonderlich überrascht hat mich
das nicht, da ich seit langem weiß, dass sich alle „Mysti-
ken“ gleichen. (Sie mögen dieses Wort nicht, wissen aber
genau, dass Sie ein mystisches Buch geschrieben haben.)
Ein einziges Thema — das Schweigen verbal ausdrücken (!),
das Unsagbare sagen (!), durch die Rede (!) das Dunkle ans
Licht bringen. Das Schweigen (verbal!) ausdrücken heißt
aber, zu sprechen, ohne etwas zu sagen. Es gibt unendlich
viele Arten, dies zu tun. Jedoch ist (wenn es gelingt) das
Ergebnis immer dasselbe: das Nichts. Deshalb gleichen sich
alle authentischen Mystiken: denn wahrhaft mystisch sind
sie nur, wenn sie vom Nichts auf angemessene Weise spre-
chen, d. h. indem sie nichts sagen. Und Ihre Mystik scheint
mir authentisch zu sein.
     Par delà la Poésie [„Über die Dichtung hinaus“] lese ich
auf der Bauchbinde. Sollte die Dichtung Sinn und Richtung
haben (ich bin mir immer noch nicht sicher, ob sich ein Ge-
dicht lediglich auf einen Sinn aufpfropft oder einen Sinn
hat, der ihm eignet? Wie denken Sie darüber?) Würden Sie
auch sagen „Über die reine Mathematik hinaus“? Ich weiß
es nicht.
     [Lücke im Text] warum schreibt man? Sie stellen die
Frage. Meines Erachtens beantworten Sie sie jedoch nicht.
Car communier, c'est communiquer. Doch kann man das
Nichts mitteilen, d. h. — weniger pittoresk — kann man
kommunizieren, ohne etwas mitzuteilen?
     Freilich schließen sich die Mystiker (die nicht verrückt
sind oder werden) zusammen. Doch ihr Zusammenschluss
ist eine sogenannte religiöse Sekte, eine Vereinigung durch
oder um das Schweigen (das klingen [religiöse Gesänge],
bildlich sein oder von Gesten erfüllt sein [das Ritual] kann).
     Und sie schreiben — wie Sie selbst es tun. Warum? Ich
denke, dass sie als Mystiker keinen Grund haben, dies zu
tun. Doch ich glaube auch, dass ein Mystiker, der schreibt
(also nicht verrückt ist — denn ich setze voraus, dass das,
was er schreibt, stichhaltig ist), nicht bloß Mystiker ist.
Er ist auch ein „gewöhnlicher Mensch“ und somit der Dia-
lektik des Anerkennens unterworfen. Deshalb schreibt er.
Und deshalb findet man im mystischen Buch (am Rande des
durch sinnlose Rede ausgedrückten Schweigens) einen ver-
ständlichen, insonderheit politischen Inhalt. Wie auch bei
Ihnen.
    Lassen Sie uns, weil es für uns beide so bequem ist, von
Hegel sprechen. Ich habe S. 72 (lesen Sie sie noch einmal)
eine höchst verständliche und zudem absolut zutreffende
Stelle über Hegel gefunden. Doch diese Kritik an Hegel ist
keine Kritik des Hegelianismus, der in Marx — Lenin — Sta-
lin weiterlebt. Für letztere liegt die „Befriedigung“ in der
 Zukunft. „Man bleibt am Leben, man kann sich nicht sicher
sein, man muss weiterhin...“ – bei Ihnen heißt es: „flehen“.
Sie aber sagen: – „kämpfen“. Das ist der ganze Unterschied,
der zwischen Ihnen und jenen besteht. Doch sagen Sie nicht,
dass letztere nur ein „Spatenstiel“ seien. Hegel glaubte, ei-
ner zu sein. Aber Stalin ist fraglos ein vollständiger Spaten,
der sehr gut macht, was er zu tun hat.
     Sie wissen das nur allzu gut und sagen es selbst S. 76:
„Die innere Erfahrung ist das Gegenteil des Handelns.“ Ja.
Und das, was unmittelbar folgt, ist durchaus verständlich
und ergibt Sinn. Aber falsch. D. h. ganz einfach „heidnisch“,
„griechisch“: Ontologie des ewigen Seins. Denn Sie sagen:
„Verschiebung der Existenz auf später“. Wenn aber (wie die
christlichen Philosophen meinen) diese „Existenz“ nur spä-
ter existiert? Oder wenn (wie es tatsächlich ist und von He-
gel gesagt wurde) die Existenz nichts anderes ist als diese
„Verschiebung auf später“. Die Existenz — um mit Aristo-
teles zu sprechen (der sich falsch verstanden hat) — ist der
Übergang von der Potenz zum Akt. Wenn der Akt vollzogen
ist, hat er die Potenz erschöpft. Er ist ohne Potenz, unver-
mögend, inexistent: er ist nicht mehr. Das Dasein des Men-
schen ist die Verschiebung auf später. Und dieses „später“
selbst ist der Tod, ist nichts. Sagen Sie bloß nicht, dass sei
„Relativismus“, usw. Ja, wenn man immer noch „heidnisch“
ist wie die „Modernen“. Doch ist man es nicht mehr, dann
ist das Werden das Sein, ist die Zeit der Begriff, und mithin
die Wahrheit.
     Eben darum geht es, wie ich glaube. Und man kann nicht
über die Frage diskutieren, ob ich unsterblich bin (das „Nir-
wana“, das ist einerlei) oder nicht. Man kann lediglich mit
Hegel sagen: Wenn ich unsterblich bin („griechisch“), d. h.,
wenn die Zeit nicht der Begriff ist, dann begreife ich nichts
mehr (kein Weiser). Denn dann gäbe es keine ✝Deduktion
des Selbstbewußtseins, keine Phän. des Geistes, die die
Tatsache einer sinnvollen Sprache, d. h. des Buches, das
man schreibt, erklärte✝. Doch das ficht Sie nicht an, da
für Sie Wahrheit unmöglich ist. Nun muss das Schweigen
aber nicht erklärt werden und kann es auch gar nicht: Man
muss sprechen, um zu erklären, ja sogar schon um die Fra-
ge zu stellen. Der Kreis schließt sich also und Sie sind unan-
greifbar: sprachlich. Wenn Sie nicht unbequem werden,
lässt man Sie in Frieden. Wenn doch — beseitigt man Sie,
ohne auf Widerstand zu treffen. Denn die innere Erfahrung
ist das Gegenteil des Handelns (S. 76). Wenn Sie kämpfen —
wird die Sache ernst (oder kann es werden). Doch dann han-
deln sie bereits, sind nicht mehr „kontemplativ“. Die Sache,
für die Sie kämpfen, existiert also nicht mehr. Das ist be-
dauerlich — für Sie.
     So viel zur „Weisheit“, die in Ihrem Buch enthalten ist.
Sie ist jedoch nur implizit in ihm enthalten. Würden Sie sie
explizieren, würden Sie sprechen✝ wie ich, wären Sie ein
Weiser. (Vorausgesetzt, Sie erlauben sich keinen mystischen
Unsinn wie: „Die Welt des Projekts verlässt man durch ein
Projekt“ (S. 77): Denn dann sind Sie nichts als ein Mystiker,
der per definitionem nichts sagt.) Wenn Sie sie nicht expli-
zieren, sind Sie nichts als ein Philo-soph. Und Sie sind einer.
     Folglich wünsche ich Ihnen, dass sie von der Potenz zum
Akt, von der Philosophie zur Weisheit gelangen. Doch dafür
müssen Sie zunichte machen, was nichts ist, d. h. das my-
stische Element Ihres Buches zum Schweigen bringen.

                                                            A. Kojève

P.S.: Der Widerspruch ist ein Nichts, d. h. in Worte gefass-
tes Schweigen. Deshalb wird sie von den Mystikern verwen-
det. Und von Ihnen selbst auf S. 77: man verlässt die Welt
des Projekts durch ein Projekt.

P.P.S.: Was für ein wundervolles Zitat von Blake (S. 103). Die
ganze Mystik ist in diesem Wort enthalten: „Nobodaddy“. Wa-
rum hat man es nicht dabei belassen?



Dienstag, 16. August 2011

Kojevnikoff und die Krise


















Im Februar 1929 schrieb Alexandre Kojevnikoff an seinen
Stiefonkel Kandinsky, dass er, wie dieser vielleicht bereits
wisse, geheiratet habe. Er berichtete aber auch von seiner
finanziellen Lage, die sich zusehends zu verschlechtern be-
gann. Im Mai 1926 war er mit Cécile Leonidovna Shoutak,
der Ex-Frau des kleinen Bruders von Alexandre Koyré, von
Berlin nach Paris gezogen.  

Mittwoch, 6. Juli 2011

Simultan

Donnerstag, 9. Juni 2011

Kgf.-Lager


















WÖRTERBUCH DES KRIEGES (Grazer Ausg., 13./14.10.06)

Das Lemma, das ich im folgenden vorstellen möchte, lau-
tet Kgf.-Lager, POW camp. Es handelt sich also um einen 
Eintrag, der zwei bereits vorgestellte Begriffe des Wörter-
buchs hyphenisiert, zu einem Bindestrichwort zusammen-
fasst: den Kriegsgefangenen und das Lager, den POW und
das camp. Dabei geht es mir weder um Präzisierung, noch
um Differenzierung. Um die Wahrheit zu sagen, möchte
ich die Gelegenheit nutzen, um ein Problem, das mir in
einem anderem Zusammenhang erwachsen ist, vor einer
interessierten Hörerschaft seiner Lösung näher zu bringen.
Kurz gesagt besteht mein Problem darin, dass ich konzise
und nach dem state of the art geordnete Informationen
zu Kgf.-Lagern des 1. Weltkriegs benötige, jedoch vergeb-
lich nach so etwas wie einem Wörterbucheintrag gesucht
habe. Insofern ist es ein Gebot der Redlichkeit, den Titel
meines Beitrags zu präzisieren: „Prolegomena zum Wörter-
bucheintrag Kgf.-Lager, Historischer Teil, 1. Weltkrieg, Ab-
schnitt h: Das Lager und die Wissenschaft, Unterabteilung:
Philologie“. Auf die Frage, wie die Philologie ins Kgf.-Lager
kommt, werde ich später zurückkommen. Zunächst möch-
te ich den Status meiner Ausführungen genauer bestimmen:
Es sind Prolegomena in dem Sinne, dass sie im Voraus ange-
ben, welche Fragen man in einem zu erstellenden Wörter-
buchartikel beantwortet finden möchte. Was folgt, ist also
eine Entwicklung, Anordnung und Verbindung von Fragen.

Aus dem bisher Gesagten wird ersichtlich, dass es sich um
einen Komplex handelt, der im schlechten Sinn Geschichte
ist. Und zwar nicht deshalb, weil es um die Kgf.-Lager des
1. Weltkriegs geht, sondern weil Kgf.-Lager überhaupt aus
der Mode gekommen sind. Eine Institution, die im 20. Jahr-
hundert in Mitteleuropa mehrere Generationen geprägt hat,
scheint schlichtweg nicht mehr zu existieren. Ein Blick in
den Irak oder nach Cuba genügt. Wurden im letzten Irak-
Krieg überhaupt Kgf. gemacht? Vielleicht für ein paar Tage.
Um von Kgf. im eigentlichen Sinn sprechen zu können, müs-
sen Kriege länger dauern. Welche Funktion hat Abu Ghraib?
Sind in diesem Gefängnis Kgf. interniert? Oder werden die
ehemaligen Soldaten der aufgelösten irakischen Armee als
Aufständische, d.h. mit einem völlig anderen rechtlichen
Status als Kgf. festgehalten? Der Blick nach Cuba fällt, wie
nicht anders zu erwarten, auf Guantanamo Bay. Dort gibt
es zwar ein Gefangenenlager, das jedoch gerade kein Kgf.-
Lager ist. Eine Erklärung warum es überhaupt in transpa-
renter Lageroptik realisiert wurde, steht noch aus. Denn
in Wahrheit hat es eine ähnliche Funktion wie Stammheim,
wie die britischen Hochsicherheitstrakte für IRA-Mitglieder
oder die spanischen für die Separatisten der ETA. Wieso ist
an die Stelle von Isolation und Abschottung die Transparenz
des Stacheldrahts und des Drahtkäfigs getreten?

Dass das Kgf.-Lager in seiner emphatischen Bedeutung, d. h.
als von Konventionen und Landkriegsordnungen geregelter,
von neutralen Inspekteuren auf seine Ordnungsmäßigkeit hin
überprüfter Raum, ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlich-
keit trat, liegt meines Wissens weit zurück. Ich meine jenen
Moment im Krieg in Jugoslawien, in dem in einer deutschen
Illustrierten Fotos von abgemagerten Lagerinsassen erschienen.
Damals wurde ein letztes Mal, wenn auch nur ex negativo, der
hehre Begriff des durch Konvention und Inspektion gehegten
Raums beschworen, gegen den so offensichtlich verstoßen wur-
de. Man erinnere sich nur des Slogans, auf den der ehemalige
Außenminister der Bundesrepublik Deutschland diese Bilder
brachte: Man müsse „ein zweites Auschwitz verhindern“.

Womöglich lässt sich das Ende der Geschichte des Kgf.-Lagers
genau datieren. Mein Vorschlag lautet auf November 1952, als
die erste von China ausgerichtete Olympiade stattfand: in ei-
nem chinesischen Kgf.-Lager in Nordkorea. Im People's Daily 
erinnerte sich kürzlich ein chinesischer Dolmetscher beim An-
blick der Bilder aus Abu Ghraib und Guantanamo an die gute
alte Zeit, als Premier Zhou Enlai die Qualität der Lagerkost
noch persönlich überwachte. Ich zitiere: „We set up English
book library for them, helped them purchase western musical
instruments and organized ‘prisoners’ Olympics’ […] staged in
November, 1952, which were participated by 500 people. Wea-
ring sports suits from China, prisoners competed in track and
field, boxing and basketball. Some black Americans talented in
sports staged a really fantastic show.“ 20 GIs wurden zu soldiers
of peace umerzogen und blieben. Einer von ihnen, James George
Veneris, für immer. In den USA konnte man sich solch unamerika-
nisches Verhalten nur mit Gehirnwäsche erklären. Welche Propa-
ganda damals Recht hatte, steht hier nicht zur Debatte. Vielmehr
möchte ich nur auf einen Typus des Kgf.-Lagers hinweisen, der
gleichsam einen kritischen Grenzfall darstellt: das, was man Vor-
zugslager nennen könnte. Sie gab es bereits im 1. Weltkrieg: in
Deutschland kamen z.B. britische Soldaten aus Irland, Angehörige
von ethnischen Minderheiten des Russischen Heeres und als Hilfs-
truppen für die französischen Armee kämpfende Moslems in Son-
derlager. In diese Reihe gehören auch jene amerikanischen Umer-
ziehungslager des 2. Weltkriegs, die in den USA unter dem Namen 
barbed wire colleges, „Stacheldraht-Hochschulen“ bekannt sind.
In den Insassen dieses Lagertypus kulminiert ein meist unausge-
sprochenes Misstrauen, das dem Kgf. im Allgemeinen entgegenge-
bracht wird. Es speist sich aus dem Vorwurf, der von D’Annunzio
auch tatsächlich erhoben wurde, das Kgf. nur werden kann, wer
sich dem Heldentod, oder zumindest der schweren Verwundung
entziehe. 



















Hiermit ist ein Punkt angesprochen, der möglicherweise
eine erste Situierung des Kgf.-Lagers in der Raumordnung
des Krieges erlaubt. Der Heldentod, die Verwundung und
die Gefangenschaft eröffneten im 1. Weltkrieg die drei
regulären Auswege aus der Schlacht (tatsächlich sind es
mit dem einzig gangbaren, der Desertion, vier). Dies mag
auch vor dem 1. Weltkrieg der Fall gewesen sein. Neu war
jedoch, dass diese Auswege in besondere Räume münde-
ten, die ich mit Foucault als Heterotopien der Schlacht
bezeichnen möchte: der Soldatenfriedhof, das Lazarett
und das Kgf.-Lager.

1. Der Soldatenfriedhof: Ich spreche hier zunächst von je-
nen seriellen Stelenfeldern, die in unmittelbarer nähe zum
Schlachtfeld, in Weiß auf Grün, meist dem Grün hügeliger
Wiesen, heterochron die Bilanz der Schlacht ziehen sollen.
Die Serialität und Gleichförmigkeit der Merksteine, die auf
krude Weise gewisse Tendenzen der landart vorwegnehmen,
sagen unmissverständlich, was es heißt, im Felde zu bleiben:
nicht als Vater, Bruder oder Sohn gestorben zu sein, sondern
als Teil einer zwar hierarchisch geordneten, gleichwohl uni-
formen Truppe. Wenn laut Foucault der Friedhof eine exem-
plarische Heterotopie ist, nämlich das zweite Zuhause der
Familien einer Stadt, dann ist der Soldatenfriedhof eine
Heterotopie zweiter Ordnung.

2. Auch das Lazarett ist eine schlachtfeldnahe Heterotopie
des Krieges, die ebenfalls im 1. Weltkrieg ihre erste Blüte er-
lebte. Durch internationale Abkommen vor Kampfhandlungen
geschützt und durch eine interessante Konstruktion von unter
militärischer Befehlsgewalt stehenden nationalen Komitees
des Roten Kreuzes geführt, funktionieren sie nach dem Sche-
ma des einschließenden Ausschlusses wie humanitäre Stabili-
satoren des Schlachtfeldes. Ihr Frieden trügt. Gänzlich hete-
rotop wird das Lazarett im 1. Weltkrieg durch die massive Mo-
bilisierung weiblicher freiwilliger Krankenpflegerinnen, die in
vaterländischen Frauenvereinen organisiert waren. Damit tre-
ten erstmals (die Amazonen abgerechnet) systematisch Frauen
in den Raum des Krieges. Doch wir haben es hier nicht nur mit
einer befriedeten und sexualisierten Heterotopie zu tun. Die
„weißen Engel“ wurden von „Göttern in Weiß“ kommandiert.
Bekanntlich hat Thomas Pynchon dem engen Zusammenhang
der Schönheitschirurgie mit der plastischen Rekonstruktions-
chirurgie der beiden Weltkriege einige unvergessliche Seiten
gewidmet.

3. Das Kgf.-Lager ist wohl die wichtigste Heterotopie, die der
erste Weltkrieg hervorgebracht hat. Offensichtlich hatte man
mit allem gerechnet, nur nicht mit den sich aus nunmehr gül-
tigen internationalen Abkommen ergebenden Standards der
Unterbringung von Kriegsgefangenen. Und deren Zahl wuchs
schnell an. Nicht einmal, ob die Unterbringung in Lagern erfol-
gen sollte, war anfangs klar. Allerdings hatte man im 1. Welt-
krieg vier Jahre Zeit, um das Lagersystem zu perfektionieren.

Wie verhält sich das Kgf.-Lager zum Schlachtfeld und zu den
anderen Heterotopien. Anders als im Lazarett ist das Lager,
nicht anders als die Kaserne, frauenfrei. Anders als auf dem
Soldatenfriedhof ist sein Insasse am Leben. Das Verhältnis des
Kgf.-Lagers zum Schlachtfeld ist besonders paradox. Es gibt
Kontiguitäten, Spiegelungen, Verkehrungen. Der Stacheldraht
vor dem Schützengraben ist derselbe, wie der, der das Lager
überhaupt erst konstituiert. Und die Langeweile, das Grund-
gefühl des Lagers, herrscht – wenn gerade keine Material-
schlacht tobt – auch in den Gräben. Einen grundlegenden
Unterschied markierte jedoch die Technik. Während die Ver-
schaltung von Waffen- und Nachrichtentechnik das Schlacht-
feld allererst konstituiert, fehlt sie im Lager fast völlig. Inso-
fern könnte man das Lager eine Allotopie des Schlachtfeldes
nennen. Dagegen spricht, dass sich im Lager dieselbe hierar-
chische Struktur wie in der Kampfhandlung herstellt. So gibt
es im 1. Weltkrieg Offiziers- und Mannschaftslager, die unter-
schiedlichen Regimes gehorchen: dem des Ferien- und dem
des Arbeitslagers. Folglich ist das Kgf.-Lager eine in sich hete-
rotope Heterotopie des Schlachtfeldes, zu dem sie sich allo-,
para- und anatopisch verhält.
 

Dienstag, 10. Mai 2011

Fußnote 44 a


















Vor knapp zwei Monaten tauchte auf der Facebookseite
des Merve Verlags ein Brief auf, den Giorgio Agamben
1970 an Hannah Arendt geschrieben hat. Der maschinen-
schriftliche Brief vom 21. Februar ist in Englisch verfasst
und besteht aus drei knappen Absätzen und einer Nach-
schrift. Im ersten Absatz erklärt Agamben, dass er ihre
Adresse von Dominique Fourcade, einem französischen
Dichter, mit dem er 1966 und 1968 an Heideggers Semi-
naren in der Provence teilgenommen hatte, erhalten ha-
be. Im zweiten Absatz stellt er sich vor: Er sei ein „jun-
ger Schriftsteller und Essayist, für den die Entdeckung
[von Arendts] Büchern im letzten Jahr eine entscheiden-
de Erfahrung war“. Im letzten Absatz erweist der junge
Schriftsteller Hannah Arendt seine Reverenz: „May I ex-
press here my gratitude to you...“, um dann nicht ohne
Pathos fortzufahren: „...und die [Dankbarkeit] derer, die
– wie ich – in der Lücke zwischen Vergangenheit und Zu-
kunft die Dringlichkeit spüren, in der Richtung zu arbei-
ten, die Sie aufgezeigt haben“. Kurz, eine dürre Ehrer-
bietigkeitsadresse – wäre da nicht das Postskript, das den
Brief zum Begleitschreiben werden lässt. Die eigentliche
Botschaft, den Beweis, dass er begonnen habe, in der von
Arendt gewiesenen Richtung zu arbeiten, enthält der Essay
über Gewalt, der dem Brief beiliegt. Ihn hätte Agamben,
wie die letzten Worte des Postskriptums lauten, „ohne die
Leitung durch [Arendts] Bücher niemals schreiben können".
Acht Leuten gefiel das.

Mehr als doppelt so vielen, nämlich exakt 17 gefiel Hannah
Arendts maschinengeschriebene Antwort vom 27. Februar,
deren Durchschrift der Merve Verlag paar Tage nach Agam-
bens Brief postete. Es sei „furchtbar nett“, dass er ihr sei-
nen Artikel geschickt habe, sie befürchte jedoch, dass sie
eine ganze Weile brauchen werde, ihn zu lesen, da ihr Ita-
lienisch „nicht bloß lausig, sondern so gut wie nicht vorhan-
den“ sei. Selbstredend freue sie sich, dass ihm ihre Bücher
gefallen haben. Ebenso freue sie sich, die Bekanntschaft ei-
nes Freundes Fourcades und eines weiteren Teilnehmers an
Heideggers Seminaren in der Provence zu machen. Anders
als man aus der knappen Erwiderung meint herauslesen zu
können, hatte es damit jedoch nicht sein Bewenden. Denn
Arendt machte sich – ihrer spärlichen Italienischkenntnisse
nicht achtend – die Mühe, Agambens Essay zu lesen. Zumin-
dest legt dies die Fußnote nahe, die sie in die deutsche Aus-
gabe ihres Buches On Violence eingefügt hat. Fußnote 44 a
auf Seite 35 von Macht und Gewalt, wie der Titel der „von
der Verfasserin durchgesehenen Übersetzung aus dem Eng-
lischen von Gisela Uellenberg“ lautet, zitiert den Aufsatz
des jungen italienischen Schriftstellers:

 


  












  
„Ein Ansatz hierzu findet sich in dem soeben erschienenen Es-
say von Giorgio Agamben, ›Sui limiti della violenza‹. Er behaup-
tet, nahezu alle primitiven Völker kennten eine »violenza sacra«,
deren Ritual dazu diene, »den homogenen Fluß der profanen Zeit
zu unterbrechen, das Urchaos zu reaktualisieren, um so dem Men-
schen zu gestatten, die ursprüngliche Dimension der Schöpfung
wieder zu erreichen« (S. 11).“

Freitag, 1. April 2011

Autorschaft

René Pollesch und Dirk von Lowtzow in Durch die Nacht
mit… (Regie: Outi Turunen), auf ARTE, 6.4.2011, 1:30.

R.P.: ein Effekt beim falsch Übersetzen
D.v.L.: und das ist der Autor

Montag, 14. März 2011

L’utilisation pacifique


Atomium (EXPO58), Brüssel, den 24. Oktober 2010.

On October 17th 1956 the Queen opened the world's first
full-scale nuclear power station, at Calder Hall in Cumber-
land. A crowd of several thousand people gathered to watch
the opening ceremony, which was also attended by scientists

and statesmen from almost forty countries. Her Majesty the
Queen gave her speech in the shadow of the massive chim-
neys of the Windscale plant, where explosives were made
for Britain’s first atomic bomb. She gave a timely reminder
of the more sinister origins of the technology.

“This new power, which has proved itself to be such a terri-
fying weapon of destruction,” she said, “is harnessed for the
first time for the common good of our community.”

At 1216 GMT, she pulled the lever which would direct elec-
tricity from the power station into the National Grid for the
first time. The town of Workington, 15 miles up the Cumber-
land coast from Calder Hall, became the first town in the
world to receive light, heat and power from nuclear energy.
Within four hours, the first nuclear-powered electricity was
reaching London.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Jahr des Hasen


Ts’ui Po, Hase und Elstern, Wandrolle, 1061 (Detail).

Montag, 17. Januar 2011

Mit Kleist auf dem Rhein



Am 24. Dezember 1963 erschien in der italienischen Illustrier-
ten Il Mondo das Logbuch einer Fahrt ins Herz der deutschen
Finsternis, das ein junger Italiener, der wenig später in Paso-
linis Vangelo secondo Matteo den Apostel Philippus verkörpern
sollte, verfasst hat: Sul Reno con Kleist.