Sonntag, 12. Dezember 2010

Sur une terrasse à Gordes


Gordes, Sommer 1966. Aus: François Fédier, Soixante-deux
photographies de Martin Heidegger
, Paris: Gallimard 1999.


Während des Seminars von Le Thor im September 1966 über-
raschte Heidegger die Teilnehmer mit der Frage: „Was ist
der Grundbegriff des Aristoteles?“ Da niemand antwortete,
warf der jüngste von ihnen nicht ohne Scheu ein: „Kynēsis,
die Bewegung“, was sich als richtig erwies. Wie aus der zi-
tierten Stelle der Nikomachischen Ethik (1106a, 22-23) her-
vorgeht, dient Aristoteles die Theorie der Potenz und des
Habitus vor allem dazu, die Bewegung ins Sein einzuführen.
Aristoteles sagt nicht „ist gut“, sondern „wird gut“ (agathos
gignetai): Es geht nicht nur darum, das Sein in Haben zu über-
führen, sondern auch das Sein in Tun und das Tun in Sein. Ge-
mäß dem Paradigma, das mit seinen Aporien die abendländi-
sche Ethik geprägt hat, wird der Tugendhafte, was er ist, und
ist, was er wird.

Giorgio Agamben, Opus Dei. Archeologia dell’ufficio (Homo
sacer, II, 5), Bollati Boringhieri, Turin, 2012, S. 110. 

Samstag, 13. November 2010

Der Tag des Gerichts


„Sie kennen sicherlich die berühmte Daguerreotypie vom
Boulevard du Temple, die als die erste Fotografie betrach-
tet wird, auf der eine menschliche Gestalt zu sehen ist. Die
Silberplatte stellt den Boulevard du Temple dar, so wie ihn
Daguerre vom Fenster seines Arbeitszimmers aus zur Stoß-
zeit fotografiert hat. Der Boulevard muß voller Menschen
und Kutschen gewesen sein, und trotzdem sieht man, da
die damaligen Apperaturen eine extrem lange Belichtungs-
zeit erforderten, von dieser ganzen Masse in Bewegung ab-
solut gar nichts. Nichts – außer einer kleinen Gestalt auf
dem Trottoir links unten auf dem Foto. Es handelt sich um
einen Mann, der sich die Stiefel putzen ließ und deshalb
ziemlich lange unbewegt blieb, das Bein leicht gehoben,
um den Fuß auf das Bänkchen des Schuhputzers zu stellen.“

Sonntag, 31. Oktober 2010

Monreale


In unserer Kultur trägt die Nacktheit eine unauslöschliche
theologische Signatur. Jeder kennt die Erzählung der Ge-
nesis, der zufolge Adam und Eva erst nach dem Sündenfall
ihre Nacktheit bemerkten. „Da wurden ihrer beider Augen
aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren“
(Gen 3,7). Den Theologen zufolge sei dies nicht einfach
damit zu erklären, dass eine vorausgegangene Unbewusst-
heit mit der Sünde verlorengegangen wäre. Vielmehr seien
sie vor dem Sündenfall – wenn auch in kein menschliches
Gewand gekleidet – nicht nackt gewesen: Ein Kleid der Gna-
de bedeckte sie, die Glorie umhüllte sie wie mit einem Ge-
wand (in der jüdischen Version dieser Lesart, die man bei-
spielsweise im Zohar finden kann, ist von einem „Lichtkleid“
die Rede). Dieses übernatürlichen Kleides wurden sie durch
die Sünde beraubt.

Nunmehr entblößt, waren sie gezwungen, sich zu bedecken:
erst mit einem Schurz aus Feigenblättern, den sie eigenhän-
dig hergestellt hatten („[Sie] flochten Feigenblätter zusam-
men und machten Schürze“), später, bei ihrer Vertreibung
aus dem Paradies, indem sie die Tierhäute anzogen, die Gott
für sie angefertigt hatte. Es gab also nur zwei Momente der
Nacktheit für unsere Urahnen im irdischen Paradies: ein erstes
Mal in der vermutlich sehr kurzen Zeit zwischen dem Gewahr-
werden der Nacktheit und der Herstellung des Schurzes, ein
zweites Mal, als sie das Feigenblatt ablegten, um die Fellröcke
anzuziehen.

Giorgio Agamben, Nacktheiten, S. Fischer Wissenschaft, Frank-
furt am Main 2010.

Dienstag, 21. September 2010

Die Folter endet nie


Fußende des 1958 von Josef Höntgesberg gestalteten Sarko-
phags mit den Gebeinen Johannes’ Duns Scotus in der Mino-
ritenkirche in Köln: SCOTIA ME GENUIT/ANGLIA ME SUSCEPIT/
GALLIA ME DOCUIT/COLONIA ME TENET.

»Ita etiam isti qui negant ens ›contingens‹, exponendi sunt
tormentis, quousque concedant quod possibile est eos non
torqueri.«

Dienstag, 24. August 2010

Eilmeldung


Rote Karte für Sina Najafi. Erst jetzt wird bekannt, dass
Sina Najafi, der Editor-in-chief des New Yorker Magazins
Cabinet am 22. Mai dieses Jahres auf den Red Hook ball
fields in Brooklyn des Platzes verwiesen wurde. Das Team
des Cabinet Soccer Club wartete auf seinen Gegner aus
Istanbul: Beşiktaş FC. Dieser war mittels Postkarten, die
dem Winter-2009/10-Heft von Cabinet beigefügt waren,
von den Lesern zu einem Freundschaftsspiel in Brooklyn
eingeladen worden: „As you know, Brooklyn and
Beşiktaş
are sister cities, a relationship that fills our hearts with
joy. To further encourage the bonds of friendship between
our two cities, we, the supporters of the Brooklyn-based
Cabinet Soccer Club, hereby challange you to a football
(what we call "soccer") match to be played in Brooklyn's
Prospect Park on Saturday, 22 May 2010, at 6 pm.“

Beşiktaş Istanbul trat nicht an. Das Cabinet-Team (Claire
Lehmann, Laura Harmon, Richard Fleming, James Burns,
Alexander Nagel, Simon Critchley, Alexandra Cardia, Lau-
rel Braitman, Paul Fleming, Sina Najafi, Kristofer Widholm,
Hakan Topal, Heather Wagner und Nina Katchadourian) war-
tete vergeblich. Irgendwann erklärt
Schiedsrichter Leland
de la Durantaye den Cabinet SC zum Sieger. Es hätte ein
Spaziergang werden können: Kampflos besiegt die schlaffe
Truppe aus Brooklyn den türkischen Meister. Doch Herr Na-
jafi, des Wartens müde, ließ sich dazu hinreißen, das eben
erschienene Agambenbuch des Schiedsrichters zu kommen-
tieren. Dafür darf man schon mal die Rote Karte zücken.

Sonntag, 15. August 2010

Ferragosto 2010


Giorgio Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theo-
logischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (Homo
sacer II.2), es 2520, 368 Seiten, 20,00 € (16. Aug. 2010).

Anders als das Englische gehört das Deutsche zu den ger-
manischen Sprachen, die weder lateinisch noch romanisch
kultiviert worden sind. Dies hat zur Folge, daß der etymo-
logische Zusammenhang nahezu aller Begriffe, die im Zen-
trum der vorliegenden »theologisch-genealogischen« Unter-
suchung stehen, bei ihrer Übertragung ins Deutsche verlo-
rengehen mußte. Der Titel des Buches zählt diese Schlüssel-
begriffe auf: Il Regno e la Gloria. Per una genealogia teolo-
gica dell’economia e del governo.

Lediglich das Wort economia aus dem Untertitel konnte ein-
heitlich mit »Ökonomie« übersetzt werden […]. Gloria […]
wurde bis auf wenige Stellen, an denen es […] als »Ruhm«
oder »Ehre« übertragen werden mußte, mit »Herrlichkeit«
übersetzt […]. Als besonders folgenschwer erwies sich die
sachlich notwendige Entscheidung, das Wort regno (»Reich«,
»Herrschaft«) nur in Kombination mit Gott (regno di dio,
»Reich Gottes«) mit »Reich« zu übersetzen, in allen ande-
ren Fällen aber mit »Herrschaft«. Notwendig war die Ent-
scheidung, weil Agamben das terminologische Gegensatz-
paar Regno/Governo, das seiner Rekonstruktion der abend-
ländischen »Regierungsmaschine« zugrunde liegt, aus der
französischen Formel Le roi règne, mais il ne gouverne pas
ableitet. Nun muß dieses »geflügelte Wort«, das Agambens
Gewährsmänner Peterson, Schmitt und Foucault an zentra-
ler Stelle zitieren, aller etymologischen Folgerichtigkeit
zum Trotz als »Der König herrscht, aber regiert nicht« über-
setzt werden. Daraus folgt, daß das zentrale Gegensatzpaar
[…] auf deutsch »Herrschaft/Regierung« heißt, wobei »Herr-
schaft« nicht als Herrschaftsbereich verstanden werden darf.
Es meint vielmehr die […] schwer faßbare Tätigkeit des Herr-
schens selbst[…]. Dasselbe gilt für den zweiten Term der Op-
position: »Regierung« bezeichnet nicht das von einem Regie-
rungschef geleitete Kollektiv der Minister, sondern die Tätig-
keit des Regierens, […] die konkrete Durchsetzung der formal
herrschenden Gesetze. Bleibt anzumerken, daß auch governo
nicht einheitlich mit »Regierung« resp. »Regieren« übersetzt
werden konnte. Anders als das […] unspezifische Wort »regie-
ren« entstammt governare dem nautischen Bereich. Das la-
teinische gubernare leitet sich [vom] griechischen κῠβερνάω
ab und bedeutet wie dieses ursprünglich »Steuermann sein,
das Steuerruder führen oder lenken, etwas steuern«. Wann
immer diese handgreiflichere Bedeutung des Regierens in
[…] Agambens Argumentation in den Vordergrund trat, wur-
de governo als »Lenkung«, governare als »lenken« übersetzt.

Diesen Überlegungen ist auch der deutsche Titel des Buches
geschuldet: Herrschaft und Herrlichkeit. Er ist insofern er-
klärungsbedürftig, als der Titel des Originals (Il Regno e la
Gloria) unübersehbar auf die das Vaterunser beschließende
Doxologie anspielt: Tuo il regno, Tua la potenza e la gloria
nei secoli dei secoli (»Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit«). Dies sprach zunächst für
den Titel Das Reich und die Herrlichkeit, der jedoch auf-
grund der dargelegten Bedenken nicht in Frage kam.

(Aus der »Notiz des Übersetzers«, S. 354f.)

Montag, 26. Juli 2010

Marbach am Neckar


„In Wahrheit war ich nie verreist.“ (Montag, 19. Juli 2010)

Sonntag, 13. Juni 2010

Gesang des Tyrannen



Pindars Zweite Pythische Ode ist dem Tyrannen Hieron I.
von Syrakus gewidmet, an dessen Hof sich der Dichter in
den Jahren 476 bis 474 v. Chr. aufhielt. Sie besingt einen
Sieg, den der „kunstliebende“ Tyrann im Wagenrennen er-
rungen hatte. Um 1800 n. Chr. hat Hölderlin den Gesang
„ins Deutsche“ übertragen. Hölderlins Fassung der ersten
Strophe lautet wie folgt:

Grosstädisches o Syra-
kusä, des tiefkriegenden
Altar des Ares, von Männern
Und Rossen, eisenerfreuten
Dämonische Nährerin,
Euch diesen vom üppigen Thebä
Bringend den Gesang komm ich,
Die Botschaft des Wagenkampfes des erderschütternden,
Der wagenkundige Hiero, in welchem siegend
Mit weithinglänzenden ange-
bunden hat Ortygia mit Kronen,
Der stromliebenden Siz der Artemis
Ohn welche nicht in weichen
Händen er die buntgezäumten
Bezähmt hat, die Füllen.

HIAPON O ΔEINOMENEOΣ / KAI TOI ΣYPAKOΣIOI / TOI ΔI
TYPPANON AΠO KYMAΣ

Freitag, 7. Mai 2010

Ein leiser Hauch



Kunst und Terror; der Ursprung des guten Geschmacks und
seine Beziehung zur Perversion; der Einzug der Kunst in Mu-
seen und Sammlungen; die Trennung von Künstler und Be-
trachter, Genie und Geschmack; die Entstehung der Kritik –
mit anderen Worten: die Geburt der modernen Ästhetik ist
Gegenstand dieser Untersuchung, die mit einer Relektüre
der Hegelstellen über den Tod, oder vielmehr die »Selbst-
vernichtung« der Kunst beginnt, um in einer höchst eigen-
willigen Interpretation von Dürers Melencolia zu münden.
Ihm auf diesem Weg zu folgen, lädt uns der ungewöhnlich
reiche Essay ein, mit dem Agamben nicht nur eine neue Per-
spektive auf das Problem des Kunstwerks eröffnet, sondern
auch ein fesselndes poetisches Programm entwirft. Mit Kafka
davon überzeugt, dass die architektonische Grundfrage zum
ersten Mal im brennenden Haus aufgeworfen wird, betreibt
Agamben im Rahmen seiner Untersuchung eine regelrechte
»Zerschlagung« der Ästhetik, die uns durch die Erschütterung
unseres gewohnten Kunstverständnisses den wahren Sinn des
ästhetischen Projekts des Abendlandes vor Augen führen und
so seine Überwindung ermöglichen soll. Als Ariadnefaden
dient die Trennung von Künstler und Betrachter, von einer
Kunst, wie sie dem Künstler und einer Kunst, wie sie dem Be-
trachter widerfährt, die Agamben als den Hauptwiderspruch
der Ästhetik betrachtet.

Samstag, 24. April 2010

Marcions fremder Gott



Marcion verkündigte „Gott konsequent und ausschließlich als
den guten Erlöser, zugleich aber als den Unbekannten und als
den Fremden. Unbekannt ist er, weil er in keinem Sinn an der
Welt und an dem Menschen erkannt werden kann; fremd ist er,
weil ihn schlechterdings kein naturhaftes Band und keine Ver-
pflichtung mit der Welt und dem Menschen verbindet, auch
nicht mit seinem Geiste
. Als ein in jedem Sinn fremder Gast
und fremder Herr tritt dieser Gott in die Welt ein.“

Religion ist Erlösung – der Zeiger der Religionsgeschichte stand
im 1. und 2. Jahrhundert an dieser Stelle; niemand konnte mehr
ein Gott sein, der nicht ein Heiland war. In wundervoller Weise
kam die neue christliche Religion dieser Erkenntnis entgegen,
und der Apostel Paulus hat sie bereits so gestaltet, daß er Chris-
tus als Erlöser zum Mittelpunkte der gesamten christlichen Ver-
kündigung machte. […] Und neben Paulus standen zahlreiche
Lehrer, die an der Aufgabe arbeiteten, den christlichen Gottes-
begriff nach dem Heiland Christus zu erfassen und zu bestimmen.
Auch auf dieser Linie steht Marcion; aber auch auf ihr ist er bis
zur äußersten Konsequenz fortgeschritten. Neben der Erlösung
darf schlechthin nichts stehen; sie ist etwas so Großes, so Erhabe-
nes, so Unvergleichliches, daß der, der sie hat und bringt, nichts
anderes sein kann als eben der Erlöser. Der christliche Gottesbe-
griff muß daher ausschließlich und völlig restlos nach der Erlösung
durch Christus festgestellt werden. Also kann und darf Gott nichts
anderes sein als das Gute im Sinne der barmherzigen und erlösen-
den Liebe. Alles übrige ist streng auszuscheiden: Gott ist nicht der
Schöpfer, nicht der Gesetzgeber, nicht der Richter, er zürnt und
straft auch nicht, sondern er ist ausschließlich die verkörperte, er-
lösende und beseligende Liebe.“

NICHT KEHREN DIE MENSCHEN DURCH DIE ERLÖSUNG IN IHR VATER-
HAUS ZURÜCK, SONDERN EINE HERRLICHE FREMDE IST AUFGETAN
UND WIRD IHNEN ZUR HEIMAT.

Mittwoch, 31. März 2010

Philosophie der Liebe


Alexander Koschewnikoff, Die religiöse Philosophie Wladimir
Solowjews
, Berlin 1926; S. 408 des handschriftlich korrigierten
Typoskripts.

KAPITEL IV:
DIE PHILOSOPHIE DER LIEBE
1. Das Endziel der Menschheit besteht nach Solowjew bekannt-
lich in der Verwirklichung der All-einheit und in der Vereinigung
mit Gott. Das Aufzeigen der Mittel zu dieser Verwirklichung
macht den Inhalt der Ethik aus. In der "Rechtfertigung" sagt er
nun, das natürliche Geschlechtsleben sei das moralische Haupt-
übel, indem es die Einheit mit der Natur, mit den Menschen
und mit Gott vernichte. Die Umgestaltung des natürlichen Ge-
schlechtsverhältnisses zur wahren Liebe der Geschlechter zu-
einander erscheint also als die wichtigste moralische Aufgabe;
erst ihre Lösung wird die Menschheit zur Vollkommenheit brin-
gen. Dieser letzte Gedanke wird in der "Rechtfertigung" nur
angedeutet und erst in der Philosophie der Liebe deutlich aus-
gesprochen, sodass ihr Inhalt sich mit dem der Ethik völlig zu
decken scheint. In der Tat gibt die Liebesphi= [406 = 407]

losophie ein grossartiges Bild der allgemeinen Welterlösung, die
durch eine universelle Organisation der wahren Geschlechtslie-
be herbeigeführt wird; es wird ferner ausdrücklich behauptet,
dass eine wirkliche und wirksame Liebe nur als sexuelle Liebe
auftreten kann. In Ansehung dessen nun, dass die Ethik Solow-
jews eine Ethik der Liebe ist, müsste eigentlich seine Liebes-
philosophie die Ethik völlig ersetzen. Und doch ist diese Iden-
tifizierung beider Lehren nicht aufrecht zu erhalten, da die
Geschlechtsliebe mit der Liebe zu Gott und zu den Mitmen-
schen offenbar nicht gleichgesetzt werden kann, trotzdem
diese beiden Formen der Liebe für die Erreichung des End-
zieles unbedingt notwendig sind. – Insofern ist also in den Be-
hauptungen Solowjews ein ungelöster Widerspruch vorhanden.
Es scheint damit folgende Bewandtnis zu haben: Systematisch
bildet die Liebesphilosophie einen integrierenden Bestandteil
der Ethik; durch die wahre Geschlechtsliebe wird die absolute
Vereinigung der beiden Geschlechter erzielt und damit die
allgemeine Vereinigung der Menschheit vorbereitet; zugleich
wird in ihr das wahre Verhältnis zum menschlichen Leibe und
indirekt zur ganzen Natur erreicht. So bildet die Liebesphilo-
sophie eine notwendige Ergänzung der Ethik, und zwar [408]

Freitag, 12. Februar 2010

A pleasant hoax


The following novel was originally produced in the German lan-
guage, as a soi disant translation from Sir Walter Scott, to meet
the demands of the last Easter fair at Leipsic.

In Germany, from the extreme difficulties and slowness of com-
munication between remote parts of the country, it would be
altogether impossible to effect the publication of books […]
without some such general rendezvous and place of depôt and
exchange as the Leipsic fair presents to the dispersed members
of the publishing body. By means of this fair […] a connexion is
established between the remotest points of the German conti-
nent—which […] comprehends many parts of Europe that politi-
cally are wholly distinct from Germany. The publishers of Vien-
na, Trieste, and Munich, here meet with those of Hamburgh and
Dresden, of Berlin and Königsburg: Copenhagen and Stockholm
send their representatives: and the booksellers of Warsaw and
even of Moscow are brought into direct contact with the agents
of the foreign booksellers in London.

Hence, as may be supposed, it is an object of much importance
that all books, which found any part of their interest upon their
novelty, should be brought out at this time: and something or
other is generally looked for from the pen of every popular writer
as a means of giving zest and seasoning to the heavy Mess-Catalog.
If it happens therefore upon any account that an author fails to
meet these expectations of the Leipsic fair,—obliging persons are
often at hand who step forward as his proxy by forging something
in his name. This pleasant hoax it was at length judged convenient
to practise upon the author of Waverley; the Easter fair offering a
favourable opportunity for such an attempt, from the circumstance
of there being just then no acknowledged novel in the market from
the pen of that writer which was sufficiently recent to gratify the
wishes of the fair or to throw suspicion upon the pretensions of the
hoaxer. These pretensions, it is asserted, for some time passed
unquestioned; and the good people of Germany, as we are assured,
were universally duped. A work, produced to the German public
and circulated with success under such assumptions, must naturally
excite some curiosity in this country; to gratify which it has been
judged proper to translate it.

It may be as well to add that the name “Walladmor” is accented
upon the first syllable, and not upon the penultimate, by the German
author; who may reasonably be allowed to dictate the pronunciation
of names invented by himself.

Sonntag, 3. Januar 2010

Ultimative Engelkunde


Für klaustrophil veranlagte Menschen, denen es ein Graus
ist, Teil großer Menschenmengen zu sein, ist der Himmel
eine denkbar doofe destination. Denn
die Fanmeile Gottes
ist einem Spruch des Propheten zufolge hoffnungslos über-
füllt: »Der Himmel
knirscht, denn in ihm ist kein Fußbreit,
der nicht von einem sich verbeugenden oder knienden Engel
besetzt wäre«. Aber auch jenen, die das Bad in der Menge
nicht scheuen, sei geraten, die Wahl ihres letzten Reiseziels
nicht leichtfertig zu treffen. Anders als uns Wim Wenders’
Himmel über Berlin weismachen will, sind Engel nämlich
alles andere als harmlos. Dass sie wahlweise dem lautlosen
Lesen beflissener Nutzer öffentlicher Bibliotheken lauschen,
sich in Trapezkünstlerinnen verlieben oder liebenswürdige
Detektive in amerikanischen Krimiserien spielen, ist eher
die Ausnahme. In der Regel mischen sie sich permanent in
die Angelegenheiten der Menschen ein: als Ökonomen des
Heils, Führer der Menschen und Lenker der Welt. Gibt es
eine Möglichkeit, sich dieser impertinenten Beamten des
Himmels zu entledigen?


Die Ausschaltung, die Unschädlichmachung der Engel setzt
voraus, dass man sich mit ihrer Funktionsweise vertraut ge-
macht hat. Was bislang einer mühsamen Recherche bedurfte,
ist nun wesentlich erleichtert worden: dank einer monumen-
talen Kompilation angelologischer Texte, die vor paar Tagen
in Italien erschienen ist. (Die Angaben zum Umfang des Wer-
kes sind widersprüchlich. Sie schwanken zwischen 2010 und
2048 Seiten.) Der von Giorgio Agamben und Emanuele Coccia
herausgegebene und eingeleitete Band trägt den schlichten
Titel
Angeli. Ebraismo Cristianesimo Islam (Engel. Judentum
Christentum Islam) und kostet 70 Euro. Am 27. November des
vergangenen Jahres veröffentlichte La Reppublica Auszüge aus
der Einleitung der Herausgeber. Hier deren Übersetzung:

„Vielleicht ist in der Moderne über keinen anderen Gegenstand
mehr und zugleich mit weniger Scharfsinn geschrieben worden
als über die Engel. Ihre zugleich strahlende und erschöpfte, ge-
dankenverlorene und effiziente Gestalt ist über die Gebete und
alltäglichen Kulte des Abendlandes hinaus nicht nur in die Philo-
sophie, Literatur, Malerei und Bildhauerei, sondern auch in die
Tagträume, in Subkultur und Kitsch so tief eingedrungen, dass
es ausgeschlossen scheint, sich ein annähernd stimmiges Bild
des Themas zu machen. Und auch wenn im 20. Jahrhundert der
Engel in den Elegien Rilkes und der Malerei Klees, in den Thesen
Benjamins und der Gnosis Corbins mit aller Macht wiederkehrt,
erscheint uns heute sein Gebaren nicht weniger rätselhaft als
das der Seraphim, die in der hetoimasia tou thronou der früh-
christlichen und byzantinischen Basiliken schweigend den leeren
Thron der Herrlichkeit hüten. Schlägt man jedoch die patristi-
schen und scholastischen Traktate über Engel auf, stellt sich die
Lage völlig anders dar. Hier hat die Angelologie ihren Ort in der
Ökonomie der göttlichen Weltregierung, deren Minister die Engel
sind. Nicht nur, dass die ausführlichste Behandlung, die Thomas
der Angelologie widmet, einen integralen Bestandteil jenes Ab-
schnitts der Summa theologica bildet, der die Lenkung der Welt
behandelt, auch die Rangbezeichnungen der Engelshierarchie
sind seit jeher in weiten Teilen mit der Terminologie der Macht
identisch: »Herrschaften, Obrigkeiten, Mächte, Throne«; nicht
nur, dass der Traktat des Pseudo-Dionysius den Titel Von der
himmlischen heiligen Herrschaft (dies ist die ursprüngliche Be-
deutung des Wortes »Hierarchie«) trägt, die Hierarchien der
irdischen, sowohl kirchlichen wie weltlichen Herrschaft sind
eine genaue Imitation der englischen. Selbst die Terminologie
der modernen öffentlichen Verwaltung