Samstag, 20. Dezember 2008

Lux ex luce


The diagonal of May 25, 1963 (to Robert Rosenblum),
Leuchtstoffröhre (2,44 m) auf Wand (45°), 1963.


"Irgendwie glaube ich, dass der sich ändernde Standard
des Beleuchtungssystems meine Idee in sich weitertragen
sollte. [...] Das Medium trägt den Künstler." (Dan Flavin)

Es gibt kaum einen Gegenstand der Alltagskultur, der
noch nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt worden wäre.
Doch über die Umwälzung in der Beleuchtungskultur, die
sich in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts vollzog,
sucht man selbst den kleinsten Hinweis vergeblich. Denn
damals verschwanden
die alten Glühlichtanlagen aus den
Fabriken, Großraumbüros und Kaufhäusern, um durch
Leuchtstoff-Systeme ersetzt zu werden. Die Geschichte
des Leuchtstoffröhrenlichts, das nahezu alle öffentlichen
Innenräume ausleuchtet, liegt im Dunkeln. Anders als die
Neonröhre, die als Komplizin von night life und Reklame
der sogenannten Kulturwissenschaft der Gesellschaft des
Spektakels zwangsläufig zum Gegenstand werden musste,
hat die Leuchtstofflampe als Lichtregime der Arbeitswelt,
Untergrundbahnen, Verwaltungen und Schulen nur wenig
Freunde finden können.

Ein binäres Licht-System entstand, dessen Werte aus dem
Bereich der gefühlten Temperatur stammten: warm und kalt.
Während man seither das "kalte" Licht der Leuchtstoffröhre
mit Disziplinierung und Kontrolle assoziiert, verbindet man
das "warme" mit Vergnügen und intimer Ausgelassenheit. Nur
vereinzelt trifft man auf Nationen, die einen Kult zu Ehren des
kalten lux ex luce (
um vom menschlichen Auge wahrgenommen
werden zu können,
muss die vom Quecksilberdampf emittierte
UV-Strahlung
von Leuchtstoffen an der inneren Glaswand der
Röhre in sichtbares Licht verwandelt werden) entwickelt haben.
Man erzählt sich, dass die Yoruba der amerikanischen Diaspora
ihre Kinderzimmer mit blauem Fluoreszenzlicht ausleuchten.
Auch strahlt in den 70er Jahren aus zahllosen Küchenfenstern
das cool white einer zum Kreis gebogenen Röhre in die Nacht,
hier und da ergießt sich farbiges Röhren-Licht über subtropische
Zimmerpflanzen.
Mit Punk hört das Nachtleben Ende der 70er
Jahre
auf, lichtscheu zu sein: Die Nacht erstrahlt »...in daylight
or cool white«
. Flavin hatte Recht behalten. Aber wie kam das?

Am 25. Mai 1961 kündigte der 35. Präsident der USA in einer
Regierungserklärung an, noch im Laufe des Jahrzehnts einen
Menschen nicht nur auf den Mond zu schießen, sondern auch
wieder unbeschadet zur Erde zurückzuholen. Auf den Tag genau
zwei Jahre später antwortete Dan Flavin mit der Befestigung einer
8 feet (2,44 m) langen Leuchtstoffröhre im Winkel von 45 Grad
an einer Wand seines Brooklyner Lofts. Das ehrgeizige Apollo-
Programm diente vor allem dazu, einen Farbfernsehstandard
weltweit durchzusetzen, Flavin griff auf eine im wahrsten Sinne
des Wortes bestellbare "standardisierte industrielle Vorrichtung"
zurück. 1965 beschrieb Flavin in der autobiographischen Skizze
«...in daylight or cool white» den fluoreszierenden Lichtstreifen
als "schwebendes gasförmiges Bild, das durch seine Leuchtkraft
die physische Gegenwart fast bis zur Unsichtbarkeit verleugnete"
und "den tatsächlichen Raum aufzulösen imstande war".