Mittwoch, 6. August 2008

Désœuvrement


Schlägt man das Wort désœuvrement in einem gewöhnlichen,
halbwegs aktuellen Schulwörterbuch nach, findet man in der
Regel folgenden Eintrag:
"Untätigkeit, Nichtstun, Müßiggang".
Man stutzt. Heißt "Müßiggang" auf französisch nicht eigentlich
oisiveté. Man blättert weiter und findet dieselben deutschen
Entsprechungen wie bei désœuvrement, nur die Reihenfolge
ist eine andere: "Müßiggang, Untätigkeit, Nichtstun".


In Blanchots Werk taucht das Wort désœuvrement erstmals
1952 auf. Unter dem Titel "Mallarmé et l'éxperience littéraire"
war im Juli-Heft der Zeitschrift Critique die Rezension eines
Buches von Georges Poulet zu Raum und Zeit bei Mallarmé
erschienen, in der es heißt: "l'œuvre ne serait jamais œuvre
d'art si la recherche de son origine ne la mettait à l'épreuve
du désœuvrement de l'être...". Kunstwerk ist ein Werk erst
dann, wenn es sich auf der Suche nach seinem Ursprung am
désœuvrement des Seins erprobt hat. Ebenfalls in Critique
erscheint im November desselben Jahres die Buchbesprechung
"La mort possible",
"Der mögliche Tod". Désœuvrement dient
hier neben "der Flucht" zur näheren Charakterisierung einer
spezifischen Form von "Nachlässigkeit" (
"cette négligence,
fuite et désœuvrement perpétuels"). Die früheste Erwähnung
des Wortes, die ins Deutsche übertragen wurde, stammt aus
einem dritten Essay. Er erschien Januar 1953 in der ersten
Nummer der Nouvelle Nouvelle Revue Française unter dem
Titel "La solitude essentielle". 1959 wurde die "autorisierte
Übersetzung"
von Gerd Henninger des für L'espace littéraire
(1955) überarbeiteten Textes in der Schriftenreihe Das Neue
Lot
veröffentlicht.

"Der Schriftsteller gehört dem Werk, aber was ihm gehört, ist
nur ein Buch, eine stumme Anhäufung steriler Worte [...]. Der
Schriftsteller, der diese Leere empfindet, glaubt nur, daß das
Werk unvollendet ist, und er glaubt, daß ein wenig mehr Arbeit
und die Chance günstiger Augenblicke ihm erlauben werden,
ihm allein, es zu beenden. Er begibt sich also wieder ans Werk.
Aber was er beenden will, bleibt das Unbeendbare, verbindet
ihn einer illusorischen Arbeit. Und schließlich ignoriert ihn
das Werk, verschließt sich wieder in seine Abwesenheit, in
der unpersönlichen, anonymen Behauptung, daß es ist - und
nichts weiter. Was man durch die Bemerkung erläutert, daß
der Künstler sein Werk niemals kennt, weil er es erst in dem
Augenblick beendet, in dem er stirbt. Eine Bemerkung, die
man vielleicht umkehren muß, denn wäre der Schriftsteller
nicht tot, sobald das Werk existiert, und hat er davon nicht
manchmal ein Vorgefühl durch den Eindruck eines sehr
befremdenden Außerhalb-des-Werkes-Seins (désœuvrement)?"

"Keiner, der das Werk geschrieben hat, darf in seiner Nähe
leben und verweilen. Das Werk ist die Entscheidung, die ihn
entläßt, die ihn ausstößt, die aus ihm den Überlebenden macht,
den Außerhalb-des-Werkes-Stehenden (le désœuvré), den
Unbeschäftigten, den Kunst-losen (l'inerte), von dem die Kunst
nicht abhängt."

in L'entretien infini von 1969 "als ein Werk, in dem sich als sein
stets dezentriertes Zentrum das Nicht-am-Werk-Sein hält: das
Fehlen des Werkes." Hans-Joachim Metzger