Montag, 7. Juli 2008

Gottes Fehl hilft


"Furchtlos bleibt aber, so [er es] muß, der Mann


Einsam vor Gott, es schüzet die Einfalt ihn,


Und keiner Waffen brauchts und keiner


Listen, so lange, bis Gottes Fehl hilft."

In Godards Le mépris (1963) sagt
Fritz Lang bekanntlich die letzte
Strophe der zweiten Fassung von Friedrich Hölderlins Dichterberuf
auf. Zunächst möchte man meinen, dass hier ein deutscher Regisseur
offenbart, was ihm im Exil die wahre Heimat war: die im
jederzeit
aus dem Gedächtnis abrufbaren Gedicht zur Vollendung gebrachte
Muttersprache. Doch sogleich melden sich Zweifel an. Denn schon in
der ersten Zeile kommen ihm zwei Wörter abhanden: von
Hölderlins
"so er es muß" bleibt bei Lang nur noch "so muß" übrig. Daß es sich
bei dieser Auslassung um einen Versprecher handelt, legt der
zum
getragenen Ernst, in dem diese Zeilen vorgetragen werden, nicht
recht passende Anflug verlegener Heiterkeit
nahe, der die Mimik des
Altmeisters für Bruchteile von Sekunden erfasst. Offensichtlich hatte
Lang Hölderlins Strophe eigens für die Dreharbeiten auswendig lernen
müssen. Lang spielt in Godards Film also nicht, wie man leichthin
sagt, "sich selbst". Vielmehr sorgt seine deplazierte Anwesenheit
dafür, dass auf eine der denkwürdigsten (und von jenen, die vom Kino
unterhalten zu werden erwarten, meistgehassten) Sequenzen der
Filmgeschichte das glänzend herniederregnet, was Goetz einmal
"herrlich flirrenden Echtweltstaub" genannt hat.

Es ist jedoch nicht die Rarität von Auftritten Fritz Langs in Kinofilmen,
die die andauernde Faszination (resp. Abstoßung) jener Sequenz im
Vorführraum ausmacht, sondern seine Funktion in einer komplizierten,
vollkommen unfilmischen Sprachpolitik: die Funktion des Polyglotten
(der er tatsächlich ist). Sechs Personen befinden sich in dem kleinen
Kino: zwei mehr oder weniger stumme (Skriptgirl, Filmvorführer),
zwei monoglotte (Paul, Jerry) und zwei polyglotte (Fritz, Francesca).
Es gibt zwei Geschäftssprachen (Englisch, Französisch). Warum Lang,
der immer wieder problemlos ins Englische und Französische switcht,
von Zeit zu Zeit Deutsch spricht, lässt sich nur so erklären, dass auf
diese Weise Francesca Vanini, die dem Produzenten Jerry Prokosch
als Geliebte und Dolmetscherin dient, besser in Szene gesetzt werden
kann.

Zitiert Mr Lang auf Deutsch alteuropäisches Bildungsgut, übersetzt
Francesca ins Französische, damit Paul versteht und seine einsprachig
kodierte Bildung beisteuern kann. So im Fall von Dantes "berühmter"
Odysseus-Stelle (Hölle, 26. Gesang), die Lang unvermittelt deutsch
zu zitieren beginnt:

O meine Brüder, wenn ihr nach hunderttausend
Gefahren die Grenzen des Okzidents habt erreicht
[...]
Zögert nicht, dem Weg der Sonne folgend
Die unbewohnten Welten zu ergründen.

Nachdem Francesca übersetzt hat ("O mes frères, qui à travers
cent mille dangers/Etes venus aux confins de l'Occident/Ne vous
refusez pas à faire connaissance/En suivant le soleil du monde
inhabité"), zitiert Lang – nun auf Französisch – was Dantes Odysseus
für unsere Bestimmung hält: nicht wie die Tiere zu leben, sondern
nach Wissen und Tugend zu streben. Auf Langs etwas oberlehrerhafte
Frage, ob jemand wisse, von wem diese Zeilen wohl stammen, kann
Paul nun beflissen antworten, dass die Stelle sehr berühmt und von
Dante sei, um dann versonnen jene zwei Zeilen aufzusagen, die den
traurigen Ausgang der Episode zusammenfassen. Doch er kann nur
deshalb zur Kontinuität der Überlieferung beitragen, weil eine sehr
unsichtbare Frau als wundersames Echo die unverständlichen Worte
Langs in Pauls (nicht Jerrys) Sprache wiederholt. Nicht nur hier bedarf
die Überlieferung, wenn sie in Gang bleiben will, der Übertragung.