Mittwoch, 23. April 2008

Das Rauschen der Sprache


"L'autre soir, voyant le film d'Antonioni sur la Chine..."
So beginnt die Schlüsselszene in Barthes kurzem Text, der
nach Momenten sucht, in denen das diskrete Medium Sprache
zu rauschen beginnt. In Ermangelung der Möglichkeit, die
beschriebene Sequenz mit eigenen Augen zu betrachten,

übersetzte ich sie
seinerzeit (1999) wie folgt:

"Als ich eines Abends Antonionis Film über China sah, vernahm
ich im Verlauf einer Sequenz mit einem Mal das Rauschen der
Sprache: auf einer Dorfstraße lesen Kinder, an eine Mauer
gelehnt, jeder für sich und alle gemeinsam laut je ein anderes
Buch; da rauschte es auf die richtige Weise, wie eine Maschine,
die reibungslos funktioniert. Der Sinn blieb mir doppelt
verschlossen – wegen meiner Unkenntnis des Chinesischen und
der Überlagerung des gleichzeitig Vorgelesenen. Doch
in einer
alle Feinheiten der Szene intensiv empfindenden, gleichsam
halluzinatorischen Wahrnehmung
vernahm ich Musik, Atem,
Spannung, Beflissenheit, kurz, etwas wie ein Ziel. Was! Brauchten
wir etwa nur alle zugleich zu sprechen, um die Sprache auf die
eben beschriebene, so seltene wie lustvolle Weise zum Rauschen
zu bringen. Wohl kaum; die akustische Szene bedarf nämlich der

(im weitesten Sinne des Wortes)
Erotik, des Elans oder einer
überraschenden Erkenntnis – oder einfach eines begleitenden
Glücksgefühls: eben dessen, was ihr das Gesicht der chinesischen
Kinder verlieh."